Hinrichtung von 12 Widerstandskämpfern am Steingraben – in der Nähe von Urbis – am 24. September und am 4. Oktober 1944.

Erschieβung am 24. September 1944

Nicolas LUTENBACHER (73) Paul LUTENBACHER (31) Georges SAC (46) Maurice PARMENTIER (57) Maurice BLAISE (41)

Erschieβung am 4.Oktober 1944

Ernest BOURQUART (44) Robert STIVERT (47) Gaston REMY (36) Maurice MANSUY (35) Joseph LICHTLIN (37) Pierre CURIEN (19) Gustave ARZIN (38)

(Beruf der verschiedenen Opfer: Nicolas Lutenbacher, Gastwirt im Bergbauernhof am Drumont / Sein Sohn Paul, Briefträger in Bussang / Georges Sac, Lehrer in Le Thillot / Maurice Parmentier, Sekretär im Rathaus von Le Thillot / Maurice Blaise, Chauffeur in Saint-Maurice. Ernest Bourquart, Tabakladenbesitzer in Saint-Maurice / Robert Stivert, Lehrer in Saint-Maurice / Gaston Rémy, Frisör in Saint-Maurice / Maurice Mansuy und Gustave Arcin, Forstbeamte in Saint-Maurice / Joseph Lichtlin und Pierre Curien, Förster in Bussang).

Kontext:

Nach der spektakulären und gelungenen Flucht des Generals Giraud über die elsässische und schweizerische Grenze im Sundgau, sowie der Flucht von mehreren Häftlingen im KL-Natzweiler am 4. August 1942, entschieden die
Nazibehörden, jegliche Spur von Unterstützung oder Hilfe der elsässischen Bevölkerung zu verfolgen und eine systematische „Reinigung“ der Gegend vorzunehmen. Diese düstere „Reinigungsoperation wurde „Waldfest“ genannt.
Die lokalen Maquis diesseits und jenseits der Vogesen waren zahlreich.

Der Bergbauernhof am Drumont von Nicolas Lutenbacher bildete einen vitalen Ort, nicht nur für den Übergang von Flüchtigen jenseits der Vogesen, sondern auch für den Empfang und die Vermittlung von wichtigen Informationen bezüglich der lokalen Widerstandsgruppen und der GMA-Vosges [mobile Gruppen im Elsass], die von Lyon aus geleitet wurde.
Der Bergbauernhof wurde nach Verrat am 21. September 1944 von der Gestapo umstellt und am folgenden Tag in Brand gesteckt.
Am Tag der Umstellung waren Nicolas, sein Sohn Paul, die Mutter, sowie Emiles schwangere Frau, Georges Sac, seine Gattin Germaine und sein Sohn Jean-Paul, zugegen.

Die männlichen Häftlinge wurden in die ehemalige Textilfabrik Fréchin nach Bussang geführt. Am selben Tag fanden auch Verhaftungen auf der anderen Seite der Vogesen statt. Emile Lutenbacher wurde am folgenden Tag – 22. September 44 – verhaftet und gefoltert, nachdem er von einer Mission als Maquisard in den Bergbauernhof am Drumont zurückgekommen war. Die Frauen wurden ins Sicherungslager von Schirmeck-La Broque [Vorbruck] deportiert. Emile Lutenbachers Gattin war schwanger; nach ihrer Befreiung aus dem Lager von Schirmeck durch die Amerikaner am 23. November 1944, fand sie Zuflucht in Kappelen (Sundgau) bei ihrem Vater. Dieser war nach Polen deportiert worden, als Vergeltung für die Fahnenflucht seines Sohnes.

2 Erschieβungen innerhalb von 10 Tagen :

Erschieβung am 24. September 1944 :
Am Sonntagabend, den 24. September gegen18.30 Uhr, hielt ein Lastwagen der Gestapo am Steingraben an; darin befanden sich 6 zu Tode Verurteilte, unter ihnen der sechzehnjährige Jean-Paul Sac. Die Verurteilten bekamen den Befehl, sich am Rande der Brücke aufzustellen; es knallte und die Erschossenen fielen rückwärts 11 Meter hinunter in den kleinen Bach. Ihre Leichen blieben liegen.
Der kleine Bergbach, wo die Opfer von einer Höhe von11 Meter hinuntergefallen waren.
Ein Überlebender der Erschieβung :
Der Junge Jean-Paul SAC, voller Energie und Wille zu leben, wurde schnell gewahr, was sich eigentlich am Steingraben tragisch abspielen würde. Jäh nahm er einen groβen Sprung, rannte so schnell er konnte in den Wald und verschwand im Nu.
Sein Vater Georges hatte kurz vor seinem Tod noch das Glück zu sehen, wie sein Sohn der Hinrichtung durch die Nazis entgehen konnte.
Jedoch wird sein Überleben von kurzer Frist sein, da Jean-Paul am 28. November 44 während der Schlacht am Drumont als Wegführer des Freikorps Pommiès und als junger Held sein Leben im Alter von fast 17 Jahren aufopfern wird. (Siehe die Lektion P8c).

Erschieβung am 4. Oktober 1944 :

Am Mittwoch den 4. Oktober, hielt derselbe SS Lastwagen wieder am Steingraben an, mit anderen zu Tode verurteilten Widerstandskämpfern aus dem Elsass und den Vogesen. Am Bussang-Pass, am Eingang des ehemaligen Tunnels, stoppte plötzlich der Lastwagen und ein zu Tode Verurteilter durfte aus dem Wagen aussteigen.
Aus welchen Gründen wurde er frei gelassen? Niemand wird es jemals erfahren.

Wie bei der ersten Erschieβung mussten die Opfer am Brückenrand eine Reihe bilden und 8 Nazis, in einem Abstand von etwa 150M, waren bereit zu schieβen.
Wunder: Robert Curien wurde nicht angeschossen, aber fiel wie die anderen rückwärts in das Bächlein hinunter, auf die Leichen der ersten Hinrichtung.
Da blieb er regungslos liegen und wartete mit Bange, bis die Gestapo schlieβlich wieder losfuhr.
Joseph Lichtlin war auch noch lebend, jedoch am linken Schenkel angeschossen und schwer verletzt.
Robert Curien half ihm und trug ihn auf den Forstweg hinauf. Mit Mühe und Not schritten die beiden weiter in Richtung des Ortes genannt „Pass der Deutschen“. Joseph Lichtlin aber verlor viel Blut und konnte nicht mehr weitergehen. Er lieβ sich auf einen Tannenstumpf nieder.
Robert Curien musste ihn leider an jenem Ort verlassen, um Hilfe zu suchen und zu fliehen. Er konnte Zuflucht finden und blieb 53 Tage lang versteckt.

Das geheimnisvolle Verschwinden von Joseph Lichtlins Leichnam:

Während der 2. Erschieβung am Steingraben wurde Joseph Lichtlin, Förster und Widerstandskämpfer, am linken Schenkel angeschossen; er war schwer verletzt und blutete.
Nachdem der Lastwagen der Nazis endlich wieder losgefahren war, flüchtete er, mit viel Mühe und von Robert Curien unterstützt, in Richtung des „Passes der Deutschen“ mit dem Ziel, den Maquis des Séchenat zu erreichen.
Aber er verlor so viel Blut, dass er auβer Kraft war und den Weg nicht mehr fortsetzen konnte. Während Robert Curien allein weitergehen musste, gelangte Joseph Lichtlin mühsam zu einer Hütte, welche der „Grenzschutz“ errichtet hatte, um sich vor dem Unwetter zu schützen.
Tags darauf begegnete ihm der „Grenzschutz“ Schroeder mit seinem Schäferhund Alex. Joseph Lichtlin war sehr entkräftet und leidend.
Schroeder hätte ihn sofort erschieβen können; er tat es jedoch nicht und gab ihm sogar etwas zu trinken und zu essen. Er verriet ihn auch nicht, aber leichtsinnig sprach er mit seinen Kollegen in Urbis davon.
Die Mörder des Steingrabens, Pfanner, Staub und Kinnartz erfuhren es und zwei davon nahmen den Hund Alex mit ihnen und begaben sich auf die Suche nach Joseph Lichtlin. Sie fanden ihn und erschossen ihn kaltblütig.

Joseph Lichtlins Leiche dank des Hundes Alex gefunden:

Die Erschossenen wurden in der Eile am Steingraben von den Nazis in ein Loch begraben. Dank der Verhandlungen des Bürgermeisters von Bussang, Herrn François Pottecher, mit den Nazibehörden durften die Leichen ausgegraben werden, um in ihrem jeweiligen Dorf beigesetzt zu werden.
Aber es fehlte eine Leiche: diejenige von Joseph Lichtlin!
Der 17jährige Sohn, Marcel, harrte darauf, dass sein Vater gefunden würde. Er hatte nämlich auch an der Ausgrabung am Steingraben teilgenommen und mit einigen Gemeindearbeitern hatten sie vergebens weitergegraben. Aber Joseph Lichtlins Leichnam war nirgends zu finden.
Nach der Schneeschmelze und der endgültigen Befreiung von Bussang beschloss der Bürgermeister, ein leidenschaftlicher Jäger, die ganze Gegend vom Séchenat bis zum Rouge Gazon gründlich zu durchsuchen.
Zum ersten Mal ertönte inmitten des Gesprächs der Name Schroeder in Zusammenhang mit seinem Schäferhund Alex.
Nach vielen Unterredungen und Erkundigungen seitens des Bürgermeisters Pottecher konnte er den Schäferhund Alex wiederfinden. Der neue Besitzer war Herr Victor Bringel des Hotels zur Krone in Urbis.
Und so begab sich am 5. April 1945 eine ganze Gruppe auf die Suche nach Joseph Lichtlins Leichnam.
Am Steingraben stiegen alle aus dem Wagen und der Hund Alex wurde im Wald losgelassen.
Dieser brave Spürhund führte die Gruppe bis zur Grenzschutzhütte. Auf einmal eilte der Hund in Richtung der Schlucht, hielt plötzlich auf einem Steinhügel an und mit seinen Pfoten kratzte er Steine weg: zuerst grub er eine Hand aus und dann einen Arm!
Dank dieses Hundes wurde Joseph Lichtlins Leichnam gefunden.
Die Gemeinde von Urbis kümmerte sich um die Übergabe der Leiche an die Familie. Joseph Lichtlin wurde in Saint-Maurice beigesetzt.

Entdecken der Armbanduhr und des Eherings von Joseph Lichtlin, 20 Jahre nach seiner Ermordung:

1964 unternahm die Gemeinde Husseren-Wesserling, die Wald in der Nähe des „Passes der Deutschen“ besitzt, Arbeiten zur Neuanlage eines Forstweges und zur Errichtung einer neuen kleinen Brücke, welche die Schlucht überspannen sollte, also am Ort, wo Lichtlin erschossen worden war.
Portugiesische Arbeiter fanden den Ring sowie die Armbanduhr 20 Jahre nach der Ermordung des Naziopfers. Herr Belin, Leiter des Forstbezirks, gab der Familie Lichtlin die gefundenen Sachen zurück.

(Quellen:
Vielen Dank an Herrn Jean-Jacques Lutenbacher, an Frau Denise Arnold und an Herrn Gilbert Meny, Kurartor des Museums Serret in Saint-Amarin, für all die geliehenen Dokumente und Fotos.
– Auszug aus « Libération des Hautes-Vosges », 3. Januar 1945.
– Zeitungsartikel von Pierre Huber, 1964.
– Zeitungsartikel, Juni 1998, Nachruf über Robert Curien von Mathieu Lerch.
– Zeitungsartikel aus l’Alsace, 16. September 2014 von Hervé de Chalendar.)